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Gibt es einen objektiven Film ?


Dokumentarfilme sind nicht wirklicher als Spielfilme. Sie sind darum ebenso wie die fiktivsten Filme ein Teil des Cinéma.


Aus der Sicht der Semiotik codiert ein Dokumentarfilm die Wirklichkeit anders als ein Spielfilm. Ein Zuschauer sieht dadurch die Beziehung des Dokumentarfilms zur Wirklichkeit anders als im Falle eines Spielfilms. Er sieht den Dokumentarfilm der Wirklichkeit ' näher ' und empfindet ihn als glaubwürdiger, realistischer. Ist der Dokumentarfilm darum ' wirklicher ' als der Spielfilm?


Der Dokumentarfilm ist ' wirklicher ' als der Spielfilm, aufgrund einer konventionalisierten Bedeutung von Wirklichkeit, die er visuell codifiziert

(verwackelte Einstellungen, unausgewogene Belichtung, grobkörnige Bilder, Normalperspektive etc.) und die selber beim Zuschauer als Konvention erst erlernt werden müssen. Er ist jedoch nicht ' wirklicher ', weil er eine graduell höhere Anteilnahme an der Wirklichkeit hat als ein Spielfilm. Eine solche Annahme setzt ein Verständnis von Wirklichkeit voraus, wie es durch die Entwicklung seit dem Universalienstreit des Mittelalters schon längst in Frage gestellt wurde. Beide - Spielfilm und Dokumentarfilm - sind Zeichensysteme, die ihre jeweilige Beziehung zur Wirklichkeit selber als Code miteinbringen. Es wird beim Zuschauer eine mit verschiedenen Mitteln hergestellte emotionale Evidenz erreicht. Somit steht der Dokumentarfilm nicht außerhalb des Cinema, sondern gehört ebenso wie der Spielfilm dazu.