ist in unserer gegenwärtigen Gesellschaft erreicht worden. Der rapide Fortschritt durch naturwissenschaftliche und technische Innovationen, die zunehmend abstraktere soziale Organisation der Individuen haben eine Gesellschaft erzeugt, die sich mit keiner bisherigen Gesellschaft vergangener europäischer Geschichte vergleichen lässt.
Eine Gesellschaft ist eine Ordnung, welche die Aufgabe hat, eine nicht beherrschbare Komplexität gesellschaftlicher Zustände zu verhindern und so den Zusammenhalt der Individuen innerhalb eines Systems zu fördern. Nur wenn das Handeln der Anderen für mich überschaubar und vorhersehbar ist, kann ich ihnen vertrauen. Eine geregelte Gesellschaft schafft für den Einzelnen Sicherheit und für die Gesamtheit Stabilität. Die Regeln menschlicher Beziehungen werden durch die Erziehung in einer Gesellschaft von allen Migliedern verinnerlicht, wodurch langfristiges handeln erst möglich wird. Das System als Ganzes übernimmt dabei für den Einzelnen die Orientierungsleistung innerhalb einer feindlichen und übermächtigen Umwelt. Nur so konnte das Individuum bisher sein Leben angstfrei gestalten und in ihm einen Sinn erkennen. Nur so konnten kulturelle Leistungen durch kooperatives und zielgerichtetes Handeln in einer arbeitsteiligen Gesellschaft überhaupt zustande kommen. Diese Orientierungsleistungen wurden in traditionellen Gesellschaften von machtgestützten Sinndeutungssystemen erbracht. Vor dem Hintergrund einer unwandelbaren Wirklichkeit legten Institutionen wie die Kirche fest, was gut und was böse ist. Eine sich in der Wirklichkeit offenbarende göttliche Ordnung, gab den Institutionen die Legitimation hierzu. Das Individuum hatte keinerlei Spielraum für Verhaltensvariationen. Sein Platz in der Gesellschaft war von Geburt an vorherbestimmt. Aber nur in einer derartig stabilen Gesellschaft konnte sich der Einzelne auch geborgen fühlen, da sich ihm seine Umwelt erklärbar, geplant und somit einheitlich und vorhersehbar darstellte. Eine Situation
wie sie für die europäische Gesellschaft des Mittelalters zutraf.
Wird eine solch stabile und einfache Gesellschaft zunehmend komplexer durch eine steigende Anzahl von Verhaltensvariationen und unterschiedlichen Begegnungsmöglichkeiten, so müssen die Orientierungsleistungen der obersten Deutungs- und Steuerungsinstanzen in ihrer Gültigkeit immer zweifelhafter erscheinen. Der Nominalismus ist der erste Schritt gewesen, um die normative Sinngebung der christlichen Gesellschaft, die auf eine bestimmte erkenntnistheoretische Sicht der Subjekt-Objekt-Relation beruhte, konsequent anzuzweifeln. Die Infragestellung weltlicher Herrschaft durch die französische Revolution ist dann nur noch ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einer offeneren Gesellschaft hin.