Darin ausschließlich eine Degeneration kultureller Werte zu sehen, erweist sich als fragwürdig, da die Dominanz des Visuellen in unserer westlichen Gesellschaft Teil einer Emanzipation des Individuums ist.
Mit der Erfindung der Fotographie und des Films veränderte sich nicht nur die Stellung von Wort und Bild in unserer Kultur, es veränderte sich auch die Stellung des Theaters, der Malerei, der Grafik, des Tanzes, der Lyrik, der Prosa und der Bildhauerei zueinander im Spektrum der Künste. Schließlich machte die Fotographie eine Portraitmalerei weitgehnd hinfällig. Wozu noch einen Menschen mühsam malen, wenn ein mechanisch-chemisches Verfahren in der Photographie Abbilder leichter und genauer produzieren kann. So ist das Foto
das Ende der Portraitmalerei. Und der Film das Ende der bisherigen Auffassung von Kunst. Wozu noch eine Bildhauerei und Malerei, die uns die Menschen nur in Erstarrung zeigen, wenn der Film sie lebendig werden lässt. Wozu noch die Illusion einer fiktiven Realität im Theater, wenn der Film uns im Kino eine Fiktion von viel eindringlicher emotionaler Evidenz erleben lässt. Das überlegene ikonische und narrative Potential des Films haben die bisherigen Künste aus ihrere Verpflichtung gegenüber tradierten Gestalt- und Stilgarantien entlassen. Somit konnten sich die traditionellen Künste in die Abstraktion der Moderne zurückziehen. Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufkommende moderne Ästhetik in der Malerei und bildenden Kunst ist die Folge der Auflösung des bisherigen Kunstbegriffs durch die Fotographie und den Film. Kubismus, Fluxus und Concept-Art sind Absagen an die konventionalisierten Gestaltgarantien der Abbildung und des Narrativen. So hat das Bild durch das Medium Film nicht nur das Wort in seiner Dominanz verdrängt, sondern auch die Auflösung des tradierten Kunstbegriffsfür die klassischen Künste erst ermöglicht.