Suchte die klassische Moderne die Befreiung von der Tradition durch die Zurückweisung jeglicher Stil- und Gestaltgarantien, so versucht die Postmoderne in umgekehrter Richtung, die Tradition mit ihren Gestaltgarantien in einem Pluralismus der Stile mit neuen Bedeutungen auszufüllen. Dabei wird die klassische Moderne als Vergangenes im postmodernen Stilrepertoir integriert, wodurch sie - nun mehr selber bloße Tradition - jeglichen Anspruch auf einen revolutionären, skandalösen Habitus verliert. Sie fällt nun wie der ' Muff von tausend Jahren ' selbst der Zeit zum Opfer. Als Manierismus oder Eklektizismus, der gut zum aufkeimenden Neokonservativismus, der Wende in der Ästhetik, passt, wird die Postmoderne von ihren Gegnern verschrien
(vergleiche : HYSSEN/SCHERPE Hrsg. Postmoderne: Zeichen eines kulturellen Wandels.Reinbek bei Hamburg, 1986).
Die Entwicklung der europäischen Gesellschaft vom Mittelalter bis zur Gegenwart ist die Geschichte eines Auflösungsprozesses. Jenen Instanzen, die bisher im System ' Gesellschaft' die Orientierungsleistungen erbrachten, wurden nach und nach jede Legitimation einer normativen Wertbildung abgesprochen. Auf dem Weg in die Moderne verlor die Religion endgültig ihre bis dahin unbestrittene kollektive Verbindlichkeit. Auf dem Weg in die Moderne verlor aber auch die Kunst jedes normative Anrecht auf eine ästhetische Weltdeutung und Sinnstiftung in der westlichen Gesellschaft. Ein Verlust an Autorität, der sich in der Aufgabe von Stil- und Gestaltgarantien niederschlägt, deren Gültigkeit im Kanon der ästhetischen Werte seit mindestens zwei Jahrtausenden unumstritten war. In einem linear fortschreitenden Prozess - ganz nach dem naiven Glauben des Fortschritts - wurden die Grenzen der traditionellen Ästhetik konsequent in der modernen Kunst aufgelöst. Die klassische Moderne machte diese Auflösung in ihrer Revolte gegen die Tradition zu einem ihrer wesentlichsten Ziele. SCHÖNBERGs atonale Musik ist die lineare Fortführung der klassischen Musik, jenseits deren Harmonielehre es nach damaliger Auffassung nur das dissonante Chaos geben könne. Es war dann nur noch eine Frage der Zeit bis selbst SCHÖNBERG nicht mehr radikal genug war und von JOHN CAGE und